Johannes Scotus Eriugena (ca. 810 - ca. 877) war Ire und muss in Irland ausgebildet worden sein oder zumindest in der keltischen Tradition, wie dies die Bandbreite seiner Gelehrtheit bezeugt. Er beherrschte das Griechische, etwas Hebrä isch, hatte es zur vollen Meisterschaft in den sieben freien Kü nsten gebracht und besaß ein tiefes, gelebtes Wissen vom christlichen Leben und der Theologie, das aus den Klosterschulen der keltischen Kirche stammte, die fü r viele das hö chste je erreichte Niveau spiritueller Kultur des Christentums darstellt.
Schon um 850 war Eriugena in Frankreich ein angesehener Gelehrter, der mit der Kathedralschule von Laon verbunden und mit Kö nig Karl dem Kahlen gut bekannt war. Er wird das erste Mal im Zusammenhang mit dem Disput um die so genannte augustinsche Lehre der doppelten Prä destination erwä hnt. Mit Eriugenas Eintritt in diese lautstark gefü hrte Kontroverse wurde theologische Haarspalterei zu einem tief gehenden theologischen Disput. Eriugena vertrat die These, dass wahre Religion und wahre Philosophie ein und dasselbe seien: Da wahre Philosophie nä mlich auf der Einheit Gottes beruhe, der einzigen Wirklichkeit, die per Definition gut sei, kö nne es nur eine einzige Prä destination geben, nä mlich die zur ewigen Erlö sung. Auch kö nnte es schließ lich, da das Universum eins ist, keinen Ort der ewigen Bestrafung geben. Alle Dinge stammen vom Guten und mü ssen im Guten enden. Die einzige Hö lle ist die Unwissenheit.
Fü r diese Auffassungen wurde Eriugena gerü gt, und sein Werk wurde auf der Synode von Valence (855) als pultes scottorum, als 'Brei des Kelten', verdammt. Die Ü berlegenheit seines Geistes konnte jedoch nicht geleugnet werden. Deshalb wurde er von Karl dem Kahlen gebeten, die Werke des groß en mystischen Theologen Dionysius Areopagita, aus dem Griechischen zu ü bersetzen. Als sein Hauptwerk gilt das Periphyseon oder Ü ber die Einteilung der Natur. Diese erstaunliche Synthese aus Theologie, Philosophie, Kosmologie und Anthropologie stellt eine perfekte, nicht-dualistische Verschmelzung von Christentum und Platonismus dar und bildet im Westen die einzige philosophische Alternative zur aristotelischen Scholastik des heiligen Thomas von Aquin. Um die Bedeutung von Eriugenas Denken aufzuzeigen, mü ssen nur zwei Punkte dargestellt werden. Erstens gibt es bei ihm keinen Gegensatz zwischen Sein und Bewusstsein oder Bewusstsein und Natur. Diese sind in einer einzigen Einheit komplementä r, Pole eines einzigartigen Prozesses, der sich als Wissen im Gö ttlichen Bewusstsein vollzieht und dessen Existenz ein Gö ttliches Ausströ men mittels Hierarchie und Teilhabe ist. Zweitens ist der dreigliedrige Mensch aus Kö rper, Seele und Geist primä r. Als Mittelpunkt von und Vermittler zwischen Himmel und Erde, Sichtbarem und Unsichtbarem, ist der Mensch fü r Eriugena der Ort, wo - und das Mittel oder Werkzeug, durch das - das gesamte Universum vereinigt und umgeformt werden und Gott in seiner eigenen Selbstkenntnis erkannt werden kann.
Solche Prä missen waren fü r eine Kirche, die darum bemü ht war, eine ungebildete Bevö lkerung sozial und politisch zusammenzuhalten, gefä hrlich. Das Ergebnis war, dass Eriugenas Werk 1225 durch eine pä pstliche Bulle verdammt wurde. Glü cklicherweise geschah dies jedoch nicht, bevor sein Einfluss sehr stark auf die Wiedergeburt der 'symbolischen' Mentalitä t in der Renaissance des zwö lften Jahrhunderts einwirkte, sowohl in der Schule von Chartres als auch unter den Zisterziensern und in der Schule von St. Viktor.
Neben den schon erwä hnten Werken schrieb Eriugena auch eine verloren gegangene Abhandlung ü ber die Eucharistie, einen Kommentar ü ber Martianus Capellas Die Hochzeit Merkurs und der Philologie, einige Gedichte und die Homilie ü ber den Prolog des Johannesevangeliums.