Unglücklicherweise hat die englische (Erst)Übersetzerin Rabia Terri Harris dem ersten der beiden in diesem Band vereinigten Texte Ibn Arabis den Titel »Reise zum Herrn der Macht« gegeben. Der eigentliche Titel heißt »Abhandlung über das Licht auf die Geheimnisse, das dem gegeben wird, der sich in die Einsamkeit zurückzieht«. Die Reise führt keineswegs zu einem äußeren Herrn sondern zu innerer Vervollkommnung, und das Eingehen in die Essenz der Göttlichen Einheit - wovon beide Texte handeln - hat mit Macht im gewöhnlichen Sinne nicht das Geringste zu tun. Im Gegenteil, es geht hier um eine Reise, die »auf der Mühsal und den Plagen des Lebens beruht, auf Heimsuchungen und Prüfungen und auf dem Hinnehmen von Gefahren und sehr großem Schrecken«. Da der Text sich an einen bereits Eingeweihten wendet, ist er auf das Äußerste gedrängt abgefasst. Immer wieder liest man bei den einzelnen Etappen den Nebensatz »Wenn du dort nicht stehen bleibst ...«. Nicht jeder, der die Reise unternimmt, kann oder wird sie ganz zu Ende führen. Und was ist das Ende, das Ziel? »Wer die Essenz der Wirklichkeit erkennt, dessen Absicht löst sich auf.« Denn es gibt nichts mehr zu erreichen: »Der Erscheinende Eine ist zwar Einer in Seiner Essenz, aber unendlich in Seinen Aspekten. Diese sind Seine Spuren in uns.« Und das ist die Wahrheit des eigenen Daseins.
Dieselbe Quintessenz ergibt sich aus dem zweiten Text - Kapitel 367 aus dem Opus Magnum »Futuhat al-Makkiyah« -, in dem Ibn Arabi auf die sogenannte Himmelsreise des Propheten Mohammed anspielt und seine eigene »Nachtreise zur Wahrheit des Daseins« mit ihr in Beziehung setzt. Damit beschreibt er zugleich den esoterischen Kern von Mohammeds Himmelfahrt. Dieser zweite Text ist äußerst packend und anschaulich geschrieben und mündet am Ende in eine bewegende autobiographische Vision von dem inneren Wissen, das ihm am »Lotusbaum der äußersten Grenze« zuteil wird: »Auf dieser nächtlichen Reise gelangte ich somit zu den inneren Wirklichkeiten ... und ich sah, wie sie alle ... zu Einer Wesenheit zurückkehrten ... und jene Wesenheit war mein Dasein. Denn meine Reise verlief nur in mir selbst ...«
Beide Texte sind sehr hilfreich und umfänglich kommentiert. Der erste Kommentar stammt von Abd al-Karim Al-Jili, einem Sufi des ausgehenden 14. Jahrhunderts, der zweite von James W. Morris, einem modernen Arabi-Forscher, der auch die (Erst)Übersetzung ins Englische vorgenommen hat.