Man kann das Buch nur authentisch beurteilen und bewerten, wenn man es ganz gelesen hat, da sein Inhalt qualitativ eine ansteigende Tendenz aufweist und nur in seiner Gesamtheit einzuordnen ist.
Beim Lesen erhält man einen tiefen Einblick in die Leiden von Friederich Zorns innerem Milieu. Doch werden diese zweifellos von seinem äußeren sozialen Milieu geprägt und bestimmt.
Seine Depression und seine Resignation haben ihre Gründe eindeutig im Äußeren. Sie kommen ursprünglich nicht von innen.
Die Kälte, Härte, Brutalität und Grausamkeit außen trieben ihn in die Angst, in eine Panik, die sogar in psychotischen Schüben gipfelte.
Alltägliche Geschehnisse und Situationen im Leben der Hauptfigur werden intelligent und facettenreich dargestellt, und zwar überwiegend in der Weise, dass Friederich Zorn selber darüber schreibt.
Dabei werden ein scharfer Intellekt und eine außerordentlich hoch ausgeprägte Sensibilität klar erkennbar.
Die Handlung ist eingebettet in ein ländliches Umfeld, könnte aber überall in der BRD ähnlich passiert sein.
Deshalb ist sie eigentlich nicht auf ein bestimmtes soziales Milieu beschränkt, sondern gesamtgesellschaftlich gültig für die sozialpsychologischen Verhältnisse in Deutschland.
Mit messerscharfem Verstand und mit seltener Feinfühligkeit, wenn auch stellenweise bewusst grob und vulgär, werden die zwischenmenschlichen Missständen und Defizite einer Gesellschaft kritisiert, die den Menschen nur nach Leistung, Nutzen und Kontostand beurteilt und bewertet, ohne viel nach menschlichen Werten zu fragen.
Diese gehen unter im gröber oder subtiler gefochtenen Kampf um die Rangordnung in einer Hierarchie, die mit der Hackordnungsleiter auf einem Hühnerhof oder den Zuständen in Max Frischs Stück Andorra verglichen werden.
Eine hoch entwickelte Wissenschaft und Technik sind keine Garanten für menschliche Kultur.
Da Götze Mammon im Zentrum der Gesellschaft steht, geht die Liebe, die Gott ist, verloren oder kehrt sich in Gleichgültigkeit oder schreckenerregende Aggression um. Nicht das Für- und Miteinander bestimmen das soziale Klima, sondern das Gegeneinander, jedenfalls überall da, wo es um Geld oder verschieden Formen der Macht geht und vor allem im Verhalten gegenüber sozial Abgeglittenen und Abgestempelten.
In einem derartig strukturierten System erkrankt der Mensch innerlich und äußerlich.
Der Autor bietet in seinem Werk aber auch Vorschläge zum Umdenken und Umschwenken an, indem er Mitgefühl, Nächstenliebe und religiöse Werte betont, die nicht nur versteh- und forderbar, sondern erfahr- und erlebbar, also auch umsetzbar sind.
So ist Heimatlos nicht nur scharfe Gesellschaftskritik, sondern auch eine Hilfe zur Änderung und zur Wende der Not.
In einer Zeit, in der größtenteils Unterhaltungslektüre wie Kriminal, Fantasie- und Liebesromane mit möglichst viel Action produziert und konsumiert werden wie jedes andere Konsumprodukt der Gesellschaft, betrachte ich dieses Buch als Leuchtturm.
Wilma Heuser