Die Maßnahmen, mit denen Flucht- und Wanderungsbewegungen in der 20er Jahren eine neue Verortung erfahren, reichen von der statistischen Erfassung über paß- und Visumsbeschränkungen bis hin zur "Konzentration" in Internierungslagern. Die Rekonstruktion der diskursiven Prozesse in Wissenschaft, Politik und Medien macht erkennbar, wie in diesem Feld politische und kulturelle Dispositionen entstehen, die sich in den 30er und 40er Jahren verhängnisvoll auswirken. Mit der symbolischen Konstruktion des Nomadischen und seiner Verwerfung stabilisiert sich jene Symbolik der Krise, die die Weimarer Republik mehr oder weniger kontinuierlich durchzog und als Katalysator des Antisemitismus funktionieren konnte. Exemplarische Analysen zeigen, daß auch die Literatur in je spezifischer Weise auf die diskursive Konstellation der Wanderungsbewegungen Bezug nimmt - von unterschiedlichen Figurationen antinomadischer Wanderer bis hin zu J. Roths "Text-Räumen des Nomadischen" und S. Kracauers Ästhetik der "Zerstreuung".
Inhaltsverzeichnis
Vorbemerkung.- Nomadische Bewegungen Faszination und Abwehr.- Wanderungsbewegungen und die Symbolik des Nomadischen verschiedene Geschichten der 20er und 30er Jahre.- 1. Krisendynamik der Massengesellschaften »Entwurzelungsnöte« und rassistische Lösungen?.- 2. Wanderungsbewegungen diskursiver Gegenstand und Kollektivsymbolik.- 3. Interdisziplinäre Anschlüsse.- 4. Diskursive Formationen und Literatur.- »Wanderungsbewegungen«: Konturen eines interdiskursiven Gegenstands.- Das Feld der Wissenschaften I: Statistische Erfassung und symbolische Gesetzmäßigkeiten.- 1. Konjunkturen und Perspektiven einer Problematik.- 2. Bevölkerungsstatistik Masse und Überfluß.- 3. Bevölkerungswissenschaft oder »biologische Politik«.- 4. Interdiskursive Vernetzungen: Mussolini Spengler Moeller van den Bruck, Burgdörfer und Grimm.- Theorie und Praxis des »Ventils«..- 1. »Spannung« und »Ausgleich« Infragestellungen nationaler Grenzen.- 2. Nationale »Ventilierung« und Grenzfixierung.- 3. Szenarien der Krisenregulation zwischen »Drosselung« und »Absperrung«.- Das Feld der Wissenschaft II: Soziale Hygiene und/oder Rassenhygiene.- 1. Vermischungsgrenze und Sieb.- 2. Stammbäume Wurzeln Wandertriebe.- 3. Eine »Vagantengeschichte«.- 4. Risikogruppen und Überträger.- »Vaganten« interdiskursiv.- 1. Das eugenische »Sieb« in der Praxis und seine symbolische Strukturierung.- 2. Wandern zwischen Krankheit und Gesundheit oder der »normale« Wandertrieb und seine Differenzierungen.- 3. Wandernde Identitäten in der Literatur: Vagabunden Wandervögel nationale Formationen.- Die Ereignisse Flucht- und Wanderungsbewegungen in Krieg und Nachkriegszeit »Ostjuden«.- 1. Die Ostgrenze als Vermischungsgrenze-ein deutscher Professor positioniert sich.- 2. Bevölkerungspolitik und Einwanderung im Parlament.- 3. Der Fall Werner Sombart ein weiterer deutscher Professor.- 4. Kolonnen und Dämme gegen Fluten und Zerstreuungen.- 5. Abschiebung, Lager, Pogrome der Kampf gegen nomadische Massen in Politik und Mediendiskurs zu Beginn der Weimarer Republik.- Fazit: »Lästige Ausländer« und Zerstreuungen vs. moderne Autozigeuner interdiskursive Formationen und symbolische Äquivalenzen in den 20er Jahren.- Diskursive Fluchtlinien I: Joseph Roth Position eines antimodernen Nomaden.- 1. Kleine Kämpfe gegen die symbolischen Fronten.- 2. Die »schwarze Schmach« und die »Flüchtlinge aus dem Osten«.- 3. Literarische Text-Räume des Nomadischen?.- Straßen der Mobilmachung: Heinrich Hauser verwurzelt »hinterm Steuerrad« oder gesteuerte Entgrenzungen.- 1. Heimat und Identität in der Bewegung.- 2. Technische Landschaft und Autowandern -symbolische Instanzen moderner Identitätsbildung.- Diskursive Fluchtlinien II: Siegfried Kracauers »Ginster« ein Text zur Zerstreuung.- Diskursive »Zwischen«-Räume.- Bibliographie.