Das Cover:
Das Cover zeigt eine junge Frau auf dem Land, inmitten einer blühenden Wiese. Im Hintergrund das Bauernhaus. Eigentlich eine angenehme und freundliche Abbildung, die kein bisschen den Eindruck vermittelt, was sich in diesen dunklen Tagen abgespielt. Das Cover ist an die beiden ersten Bände angelehnt und der Klappentext hat mich sehr angesprochen.
Die Geschichte:
Ruth hat es nach England geschafft. Dort wird sie als Haushaltshilfe von einer Bauernfamilie aufgenommen. Sie muss als noch junges Mädchen bis zum Umfallen arbeiten. Freddy der Bauer ist mit seinen Tieren und seinen Äckern beschäftigt und mischt sich äußerst selten in Haushaltsfragen ein. Seine egozentrische Frau traktiert das Mädchen ohne Unterlass und bürdet ihr auch all die Aufgaben auf, die sie selbst übernehmen müsste. Und dennoch gelingt es Ruth mithilfe eines Ehepaares die Papiere für ihre Eltern und ihre Schwester zu besorgen, damit diese aus Deutschland ausreisen dürfen, was ihnen nur wenige Tage vor Kriegsbeginn gelingt. Anstatt die restliche Familie auch noch nachzuholen, schwindet ihre geglaubte Sicherheit dahin, weil zu befürchten ist, dass sich das Kriegsgeschehen über den Teich ausweitet. Nun müssen sie alles daransetzen, nach Amerika, zu fliehen. Der Krieg scheint aber ihre Pläne zu durchkreuzen.
Meine Meinung:
Schon mit der ersten Seite wurde ich in das Schicksal der jungen Ruth hingezogen. Ich habe anschließend nachts durchgelesen und erst hinterher mitbekommen, dass für diese Saga schon zwei Bände zuvor erschienen waren. Das ist ein hohes Zeichen von Qualität, dass man das Buch einer Familiensaga lesen kann, und keine vorausgegangenen Inhalte, oder Figuren suchen muss. Da es sich um eine wahre, aus Tagebüchern gespeiste Geschichte handelt, gibt es an den Protagonisten grundsätzlich nichts zu kritteln, denn es ist über weite Strecken das Leben, welches die beschriebenen Menschen tatsächlich gelebt haben. Auch die üblichen Bewertungen, wie Spannungsbogen und Perspektivwechsel spielen für mich in diesem Fall nicht die sonst hervorgehobene Rolle, weil die Autorin nur da ergänzt hat, wo es für den Lauf der Geschichte von Nöten war. Ulrike Renk schreibt in einer fließenden, leicht verständlichen und bildlich gut aufzunehmenden lebhaften Sprache. Auch die Schauplätze sind sehr gut beschrieben. Im Vordergrund steht aber für mich das Seelenleben eines Mädchens, das mit lieblos aufgebürdeter, schwerer Haus- und Putzarbeit, mit Kindererziehung, Hausschlachtungen und den Aufgaben einer Köchin, deren Beruf sie im Schnelllehrgang erlernen muss, völlig überfordert ist. Und zusätzlich kommen auf ihre zarten Schultern die Sorgen, um den Umgang mit ihr selbst als Deutsche und als Jüdin, auch Sorgen um die Eltern, denen bei ihrer Ankunft anzusehen ist, wie schlecht es ihnen geht. All das zusammen sorgt dafür, dass Ruth innerhalb weniger Monate erwachsen wird, dazu schrittweise erstarkt und für mein Dafürhalten weit über sich hinauswächst. Es geht insgesamt um das Schicksal von Menschen, denen man nicht nur die Existenz, sondern auch die Würde weggenommen hat. Menschen, die versuchten um die halbe, wenn nicht um die ganze Welt zu fliehen, um irgendwo in Frieden leben zu dürfen.
Mein Fazit: Dieses Buch geht zu meinen Highlights des Jahres 2020. Eine Geschichte, die unter die Haut geht, die wieder einmal vor Augen führt, was damals Entsetzliches angerichtet wurde, und wie sehr wir alle gemeinsam darauf achten sollten, dass so etwas nicht mehr geschehen kann. Ich werde die ersten beiden Bücher und natürlich den letzten noch fehlenden Band unbedingt lesen. Ein Leben, über das durchaus auch in Schulen gelesen werden sollte.
Meine ausdrückliche Leseempfehlung.
Heidelinde von friederickes bücherblog