Ich habe dieses Buch schon vor einigen Wochen beendet, wollte und musste es jedoch erst einmal sacken lassen, ehe ich erzähle, was ich darüber zu sagen habe. In den meisten Fällen (sagen wir einfach mal 99%) ist es so, dass mir ein Buch entweder richtig gut oder überhaupt gar nicht gefallen hat. Dieses hier gehört zu den 1%, bei denen ich mir unsicher bin. Ich habe zwischen 3 und 4 Sterne hin- und herüberlegt. Fazit siehe unten.
Was ich vorweg schon mal positiv hervorheben kann, ist die lebendige und erfrischende Sprache. Die hat mich von Anfang an gepackt und begeistert. Ich mochte die bildhaften Beschreibungen - und auch die lockeren Sidesteps, die dafür sorgen, dass einem die Formulierungen vertraut vorkommen. Als würde man all das selber sagen.
Zudem hat der Autor ein Händchen für Charaktertiefe und -entwicklung. Zugegeben: Nicht alle Figuren waren mir sympathisch, nicht mit allen war ich verbunden. Aber das ist für mich auch nicht entscheidend. Viel wichtiger finde ich, dass es der Autor schafft, die einzelnen Personen greifbar zu machen, lebendig. Und das waren sie. Einzig die Kinderpsychiaterin, die hier im Nebenstrang eingeführt wird, blieb relativ blass. Hier hätte ich gern mehr psychologische Fakten erfahren, weil mich Kinderkrankheiten sehr interessieren (ich bin Krankenschwester). Das ist jedoch Jammern auf hohem Niveau und wird von mir nicht bewertet.
Im Prolog lernen wir Mary (alias Maria) kennen und erfahren von dem Brand, der nicht nur das Familienhotel zerstört, sondern den Eltern auch das Leben gekostet hat. Ziemlich tragisch, und de facto ist es nachvollziehbar, warum Mary so geworden ist ... wie sie heute, 25 Jahre später, ist. Ich habe sie als sehr zerbrechlich, verletzlich, labil und rastlos wahrgenommen. Im weiteren Verlauf der Geschichte zeigt sie hier und da eine gewisse Reife und Stärke, trotzdem hat sie ihre Vulnerabilität nie ganz überwinden können.
Am meisten gefiel mir der dritte Leseabschnitt (Kapitel 17 bis 25), der mich mit einigen Wendungen und Ereignissen ziemlich von den Socken gehauen hat. Hier passierte so viel, dass stets eine bestimmte Frage im Raum stand: Whodunnit? Und da sprechen wir direkt über einen weiteren großen Pluspunkt: klassische Elemente. Hier hervorragend vom Autor eingeflochten. Ich war die ganze Zeit am Miträtseln, stellte Thesen auf, verwarf diese wieder, stellte neue auf. I loved it! Und ich habe auch diese kleinen Sidekicks auf Englisch, die man immer wieder findet, geliebt. Clever gemacht, Matthias.
Kommen wir zu dem Grund, weswegen ich bezüglich der Bewertung so am Hadern war: die finale Entwicklung der Story. Bis zum dritten Abschnitt konnte ich gar nicht fassen, was für ein cooles Buch ich da lese. Mir kam das Wort "Jahreshighlight" in den Sinn. Leider hat der letzte Abschnitt das ziemlich verhunzt. Wobei ich hier betonen muss, dass das natürlich Geschmackssache ist! Manch Leser feiert ein bestimmtes Thema, mach anderer möchte nichts darüber lesen. Da ich nicht spoilern möchte, zähle ich mal ganz allgemein auf, was mich persönlich wenig bis gar nicht in Büchern interessiert: Politik, Kriegsgeschehen und -verbrechen, Wirtschaftsprognosen, Börsenbusiness ... und davon war etwas im auflösenden Showdown enthalten. Damit konnte ich leider nichts anfangen und war/bin dadurch ziemlich zwiegespalten, sogar ein bisschen enttäuscht. Das i-Tüpfelchen waren die vielen Versionen der Vergangenheit, die mich verwirrt haben. Und die überkonstruierte Auflösung, wer nun wer ist und wer was gemacht hat und wieso dies, das, jenes. Kurz: Show don't tell! Jedoch möchte ich erneut klarmachen, dass das nichts mit dem Know-how des Autors oder seinen schriftstellerischen Fähigkeiten zu tun hat, sondern lediglich eine Frage des persönlichen Geschmacks ist.
Vielleicht matcht es beim nächsten Buch besser. :) Für dieses gebe ich aufgrund der kreativen Ideen und Wendungen, der facettenreichen Figuren und der coolen Sprache gern 4 Sterne.