Literatur folgt nicht länger aus dem Leben; das Leben selbst wird zum literarischen Projekt.
1977 prägt der Pariser Autor Serge Doubrovsky für seinen Roman "Fils" einen folgenreichen Begriff, um die Mixtur aus faktualem und fiktionalem Erzählen zu beschreiben: Autofiktion.
Im gleichen Jahr verlässt der Schriftsteller Paul Nizon aufgrund einer Affäre seine Ehefrau und die Schweizer Heimat, zieht nach Paris und steht zunächst allein da. Nizon, der schon seit einiger Zeit auf der Suche nach einem neuen Romanstoff ist, teilt seinem Verlag mit, ein Buch über die Liebeswirren schreiben zu wollen. "Ich bin ein [ ] Autobiographie-Fiktionär. Ich erschreibe mir mein Leben", erklärt Nizon seine neue Vorgehensweise und verwendet damit Doubrovskys Wort, ohne damals "zu wissen, dass es bereits existierte".
Umfassend angelegte autofiktionale Erzählungen haben sich spätestens mit dem weltweiten Hype um Karl Ove Knausgårds biografischen Zyklus sowie der Verleihung des Literaturnobelpreises an Annie Ernaux im Zentrum des Buchmarktes etabliert. Autorinnen und Autoren wie Navid Kermani, Judith Hermann, Julia Schoch, Jan Brandt oder Terézia Mora haben ebenso komplexe wie werkübergreifende Autofiktionen vorgelegt. Dieser Band lädt dazu ein, Nizons Autofiktionen neu zu entdecken, fragt nach Kontinuitäten zwischen seinem Ansatz und aktuellen Texten und spart Kritikpunkte nicht aus, die den autofiktionalen Diskurs seit jeher begleiten.