Die wenig bekannte Fluchtroute Der Balkan
Wenn man Balkan-Route hört, denkt man an illegale Einwanderungen der letzten Jahre. Dass der Balkan bereits in den Jahren 1933 bis 1941 für Tausende von verfolgten Juden und Kritikern des NS-Regimes ein Fluchtmöglichkeit geboten hat, ist längst nicht so bekannt, wie jene nach Frankreich und anschließend über die Pyrenäen in das neutrale Spanien über die Uwe Wittstock in seinem Buch Marseille 1940 ausführlich geschrieben hat.
Diese Lücke in der Exilforschung versucht nun Marie-Janine Calic zu schließen. In ihrem Sachbuch listet sie zahlreiche Prominente wie Tilia Durieux, Manès Sperber oder Franz Theodor Csokor und weniger Prominente auf, die sich auf den beschwerlichen und gefährlichen Weg durch die Schluchten des Balkans gemacht haben, um einen Platz auf einem der Seelenverkäufer nach Palästina zu gelangen.
Der Balkan, also das damalige Königreich Jugoslawien, ist lange Zeit nur von wenigen Verfolgten als Möglichkeit dem NS-Regime zu entkommen, wahrgenommen worden. Calices Recherchen stützen sich auf Tagebücher, Briefe, Akten, Fotos und andere Quellen um die verschlungenen Wege von mehr als 55.000 Betroffenen nachzuzeichenen. Dabei hat sie, wie sie schreibt, Nichts wurde erfunden und kein Zitat verändert, um den Erzählfluss oder Spannungsbogen aufrechtzuerhalten..
So wird einerseits die systematische Enteignung und Vertreibung der Juden aus Deutschland, Österreichs und der letztlich anderen annektierten Gebiete, bevor der staatlich angeordnete Massenmord an den Juden vollzogen wird, sowie die Freundlichkeit und Hilfsbereitschaft der Bevölkerung Jugoslawiens und Albaniens beschrieben. Die Hilfsbereitschaft endet schlagartig im Jahr März 1941 als gegen die Regierung des Prinzregenten geputscht wird. Wenig später marschiert die deutsche Wehrmacht über Ungarn in Jugoslawien ein, das nach nur elf Tagen kapituliert und von Hitlers Truppen besetzt wird. Einige Gebiete müssen an Mussolinis Italien abgetreten werden, der zuvor schon Albanien annektiert und 1940 Griechenland überfallen hat.
Die Flüchtlinge sitzen in der Falle, weil die Briten gleichzeitig die Einwanderung der verfolgten Juden nach Palästina verbieten. Sie bringen die ohnehin kaum seetüchtigen Schiffe auf und internieren die Menschen unter anderen auf den Malediven.
Die Autorin gibt uns einen Einblick in die Arbeit der verschiedenen jüdischen Hilfsorganisationen, die oft als willfährige Helfer des NS-Regimes erscheinen, zumal sie dazu gezwungen werden, mit zwielichtigen und kriminellen Personen zusammenzuarbeiten. Es müssen Unterkünfte, Lebensmittel, Einreisegenehmigungen und Transitvisa beschafft werden. Alles äußerst schwierig und gefährlich sowie kostspielig.
Wie oft die versprochenen und im Voraus bezahlten Passagen - aus unterschiedlichen Gründen - nicht durchgeführt worden sind, zeigt die Geschichte des Kladowo-Transportes, der 1939 in einem der jugoslawischen Donauhäfen festsaß. Der heftige Wintereinbruch 1939 verhindert ihre schnelle Weiterreise, denn die versprochenen Schiffe kmen nicht.
Fazit:
Ich habe schon einiges über den Balkan als Fluchtroute für verfolgte Juden gelesen, trotzdem ist dieses Buch auf Grund der peniblen Recherche und der Fülle der dargebotenen Unterlagen eine Ergänzung meines bisherigen Wissens. Gerne gebe ich dafür 5 Sterne.