Sie wurden als »Bastard«, »Bankert« oder »Hurenkind« beschimpft: Uneheliche Kinder. Sie und ihre Mütter waren in der deutschen Gesellschaft über einen langen Zeitraum hinweg geächtet. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurde Unehelichkeit vornehmlich mit Armut, Kriminalität und Verwahrlosung in Verbindung gebracht. Uneheliche Kinder erschienen als eine sittliche Gefährdung der bürgerlichen Familie, ja sogar als existentielle Bedrohung der Gesellschaft.
Sybille Buske untersucht die rechtliche und gesellschaftliche Stellung nichtehelicher Kinder und ihrer Eltern vom Kaiserreich bis in die Bundesrepublik. Die sechziger Jahre erfahren dabei besondere Beachtung, denn dieses Jahrzehnt brachte tiefgreifende Um- und Aufbrüche: Nach zähem politischem Ringen wurde die Reform des Unehelichenrechts auf den Weg gebracht. Ziel war es, den Kindern und Eltern mehr Rechte zuzuerkennen und ihre gesellschaftliche Diskriminierung zu beenden. Erstmals in der langen Geschichte der Unehelichkeit konnten ledige Mütter in eigener Sache gesellschaftlich und politisch gestaltend wirken. Der veränderte Umgang mit Unehelichkeit erschließt exemplarisch Dimensionen und Dynamik gesellschaftlicher Wandlungsprozesse in Westdeutschland. Der diachrone Ansatz der Studie ermöglicht, den Wandel der sechziger Jahre im Kontext des Jahrhunderts zu gewichten und seine Ergebnisse kritisch zu reflektieren. Somit erweitert Sybille Buske den historischen Zugang zur Veränderung der politischen Kultur in (West-) deutschland, zum Wandel der Gesellschaft und ihrer normativen Grundlagen.
Inhaltsverzeichnis
1;Inhalt;6 2;Einleitung;10 3;I.Unehelichkeit in der bürgerlichen Gesellschaft 1880 bis 1914;32 3.1;1. Unehelichkeit als soziales Problem;32 3.2;2. Unehelichkeit im politisch-weltanschaulichen;56 3.3;3. Unehelichkeit als familienrechtliches Problem;74 3.4;4. Unehelichkeit als politisches und nationales Problem;83 3.5;5. Ergebnisse;86 4;II. Neue Frau und Neues Kind? Reformbewegung und Reformbemühungen 1914 bis 1933;90 4.1;1. Kulturelle Auf- und Umbrüche;90 4.2;2. Uneheliche Kinder in Verfassung und Recht;100 4.3;3. Die soziale Lage und ihre strukturellen Ursachen;110 4.4;4. Reformpläne für das Privatrecht;122 4.5;5. Ergebnisse;144 5;III. NS-Familienrecht, Rassenpolitik und Verfolgung 1933 bis 1945;148 5.1;1. Reformbestrebungen 1933;149 5.2;2. Rechtsprechung;163 5.3;3. Politik für wertvolle Mütter, Väter und Kinder;165 5.4;4. Politik gegen minderwertige Mütter und Kinder;180 5.5;5. Ergebnisse;193 6;IV. Nachkriegsverhältnisse und soziale Ordnungsvorstellungen 1945 bis 1960;196 6.1;1. Familienverhältnisse und ihre soziologischen Deutungen;196 6.2;2. Grundgesetz und Recht;204 6.3;3. Die Sittenordnung in der Rechtsprechung;212 6.4;4. Christliche Familienleitbilder;217 6.5;5. Ergebnisse;229 7;V. Rechtsdebatten, Rechtsprechung und Reformansätze 1960 bis 1966;232 7.1;1. Zögerliche Reformschritte:;235 7.2;2. Rechtsprechung: Elternrechte für die unverheiratete Mutter;239 7.3;3. Reformdebatten und -vorbereitungen;241 7.4;4. Die Kirchen auf der Suche nach einer zeitgemäßen Sexualethik;254 7.5;5. Ergebnisse;268 8;VI. Das Private als Politikum 1965 bis 1970;272 8.1;1. Selbstdeutungen und Medialisierungen;272 8.2;2. Der Wandel wissenschaftlicher Deutungen;307 8.3;3. Ergebnisse;322 9;VII. Dynamisierung des Reformprozesses und Durchsetzung der Reform 1966 bis 1970;324 9.1;1. Das Nichtehelichengesetz als Teil einer Gesellschaftsreform;324 9.2;2. Das neue Nichtehelichenrecht;344 9.3;3. Deutsche Gesetzgebung im internationalen Horizont;346 9.4;4. Ergebnisse;349 10;Vom Problem zur Lebensf
orm: Unehelichkeit und gesellschaftlicher Wandel im 20. Jahrhundert;350 11;Abkürzungsverzeichnis;366 12;Quellen- und Literaturverzeichnis;368 13;Dank;395 14;Personenregister;397 15;Sachregister;398