
Kommentar
»Schiffe im Schatten des Krieges«
Artur Pech
Ein Ereignis am 13. Mai 2025 fand zumindest zunächst keine größere mediale Aufmerksamkeit.
Ein Tankschiff fuhr durch die Ostsee und steuerte einen russischen Hafen an. Nach der langläufigen medialen Berichterstattung gehört es wegen dieses einfachen Sachverhalts zur russischen »Schattenflotte«.
Letzteres ist ein Begriff aus dem Arsenal der kognitiven Kriegführung. Er soll den Eindruck erwecken, dass Schiffe, die nicht dem Willen des »Wertewesten«, also der G7, der EU und von deren Verbündeten gehorchen und davon unbeeindruckt russisches Öl transportieren, irgendwie rechtswidrig handeln und es deshalb rechtens sei, dagegen vorzugehen, letztlich auch Gewalt anzuwenden. Im Kampf um »Russlands Entmachtung« so der Titel einer im Mai veröffentlichten EU-Studie spielt die Bekämpfung dieser »Schattenflotte« eine zentrale Rolle nicht nur in der Ostsee.
Und da wurde am 13. Mai eine gefährliche Schwelle überschritten. Der Tanker »Jaguar« fuhr in internationalen Gewässern, außerhalb des Hoheitsgebiets angrenzender Staaten und wurde von der Estnischen Küstenwache aufgefordert, seinen Kurs zu ändern und in das Hoheitsgebiet Estlands einzulaufen. Dort hätten dann die formalen Voraussetzungen bestanden, gegen Schiff und Besatzung vorzugehen. Ähnliches war schon durch Finnland praktiziert worden.
Beteiligt waren am 13. Mai mehrere Schiffe und Kampfflugzeuge. Die Besatzung des Tankers tat der Küstenwache den Gefallen nicht und hielt Kurs. Wohl kaum zufällig tauchte zu dieser Zeit ein russisches Kampfflugzeug über dem Schiff auf. Im Falle von Gewaltanwendung gegen den Tanker lag also die Gefahr einer bewaffneten Konfrontation buchstäblich in der Luft.
Selbst die Frankfurter Allgemeine gestand am 27. Mai ein, dass »die Gefahr einer militärischen Eskalation besteht«, weil »estnisches Militär einen Öltanker unter der Flagge Gabuns aufzuhalten« versuchte. Und mit Blick auf das russische Flugzeug: »In den NATO-Raum einzudringen, ist ein Statement. « Wobei zu ergänzen ist: Der Begriff »Nato-Raum« für die gesamte Ostsee ist eine rechtswidrige Anmaßung, denn er schließt den Luftraum und Seegebiete außerhalb des Hoheitsgebietes der Nato-Staaten ein. Aggressiv ist in diesem Sprech natürlich nicht das anmaßende Vorgehen gegen Schiffe, die ihr Recht auf freie Schifffahrt wahrnehmen, sondern ein Verhalten, dass sich diese Eingriffe nicht gefallen lässt.
Nun können die EU und andere Verbündete der Ukraine durchaus Rechtsvorschriften für Sanktionen gegen Russland erlassen und in ihrem Machtbereich deren Einhaltung erzwingen. Versuche allerdings, dass über diese Grenze hinaus zu tun, sind mit dem Völkerrecht nicht zu vereinbaren. Auch deshalb wird lieber von einer »regelbasierten Ordnung« gesprochen.
Im Falle der gewaltsamen Unterbindung von Öltransporten aus russischen Häfen würden Sanktionen zur Blockade. Und das ist nach dem Völkerrecht eine Kriegshandlung.
Das dürfte mindestens einem Teil derer, die danach rufen, bewusst sein. Die gewaltsame Unterbindung des russischen Seehandels liefe auf einen direkten Eintritt in den Krieg hinaus.
Also wird nach Vorwänden gesucht. Die bisher beliebtesten waren Unterseekabel, Umweltgefährdungen, Schiffsversicherungen außerhalb der Reichweite westlicher Versicherer o. ä. Derartige Einlassungen gibt es nicht nur von der EU oder der Nato, sondern auch von ziemlich weit links. Da wird dann durchaus auch eingestanden, dass es nicht um die Umwelt oder um Unterseekabel geht, sondern um die Durchsetzung der Sanktionen, um den Kampf gegen Russland.
So wird nebenbei die Ostsee zum Nato-Meer und die völkerrechtlich nicht zu beanstande Bewegung russischer Flugzeuge über der offenen See zum »Eindringen in den Nato-Luftraum«.
Die um es zurückhaltend auszudrücken Begegnung von russischen und Nato-Flugzeugen im Zusammenhang mit dem gescheiterten Versuch, Sanktionen durchzusetzen, macht deutlich, warum dieses Ereignis Aufmerksamkeit verdient: Es zeigt, wie niedrig mittlerweile die Schwelle zum offenen Krieg gegen Russland geworden ist.
Und diese Gefahr wird mit geballter Medienmacht verdrängt. Die Sanktionen und ihre weitere Verschärfung sind Teil des Wirtschaftskrieges, mit dem Russland ökonomisch bezwungen werden soll. Die Erweiterung der Zahl der von der EU definierten »Schattenflottenschiffe« gehört dazu. Und das Ereignis am 13. Mai zeigt die Versuche der Durchsetzung laufen auch tatsächlich auf Krieg hinaus.
Der Politikwissenschaftler Johannes Varwick sagte in einem Disput mit Kathrin Göring-Eckart, er sei dafür »ein Preisschild an eine mögliche russische Niederlage zu kleben. Und das Preisschild wäre, das geht nur, wenn wir einen Krieg mit Russland führen«.
Wer dieses Schild anklebt, riskiert den gemeinsamen Untergang.
In dem Streitgespräch standen sich zwei Sichtweisen unversöhnlich gegenüber. Die unhinterfragt häufigste von der Grünen-Politikerin gebrauchte Redewendung »Putin will«, »Putin möchte« und die Position des Professors: »Natürlich geht es in der Sicherheitspolitik immer um Intentionen und Fähigkeiten. Die Intentionen Russlands weiß kein Mensch. «
Der Satzbeginn »Putin will « oder »Putin möchte « hat für die kognitiven Kriegerinnen und Krieger eine doppelte Funktion: Die Triviale: Bei so konstruierten »Analysen« lässt sich vergleichsweise leicht darstellen, dass »Putin« fortlaufend scheitert. Die weniger Triviale: Das erspart die Auseinandersetzung mit Ursachen, Wirkungen und Interessen. Ohne die Berücksichtigung der russischen Sicherheitsinteressen wird es aber keinen Frieden geben. Das ist keine Frage der Hofierung Russlands, sondern eine Frage des eigenen Überlebens.
Und zugleich: Warum eigentlich macht der »Rest der Welt« nicht mit bei dem Versuch, den Preis für russisches Öl durch Sanktionen zu drücken? Könnte dass nicht auch ein Zeichen dafür sein, dass die Vorherrschaft des Wertewesten sich ihrem Ende zuneigt?
Tatsächlich zeigt der (zunächst nur kognitive) Krieg um die sogenannte »Schattenflotte« das Dilemma wertewestlicher Politik, den Widerspruch zwischen Wunsch und Wirklichkeit: G7, EU und Verbündete waren nicht in der Lage, dem Rest der Welt ihren Willen aufzuzwingen. Stattdessen verlaufen die Ströme des Handels immer mehr am Wertewesten vorbei.
Mit jeder weiteren Verschärfung dieser gescheiterten Politik verschleißen die Mittel zu ihrer Durchsetzung. Das gibt Hoffnung. Damit die Hoffnung sich erfüllt, ist tatkräftiger Widerstand gegen eine Politik angesagt, die auf Sieg, die auf Krieg setzt.
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